Seefahrt, Handel und Handwerk
Wikinger-Schiffe – Baukunst, Segeltechnik, Zweck
Die Schiffe der Wikinger waren wahre Meisterwerke nordischer Handwerkskunst. Die Rümpfe entstanden in Klinkerbauweise: Überlappende Planken, mit Eisennieten verbunden, gaben dem Schiff Flexibilität in schwerer See. Ein seitlicher Steuerbalken an Steuerbord führte das Schiff; der geringe Tiefgang erlaubte Fahrten in Flussarmen und Landungen direkt am Strand. Bevorzugt wurde Eichenholz, ergänzend Kiefer oder Esche.
Gesegelt wurde mit rechteckigen Wollsegeln, die man mit Fetten/Harzen imprägnierte. Bei Flaute trieben Ruderbänke das Schiff voran. Diese Kombination aus Segel und Riemen sowie Seetüchtigkeit und Flachwasserfähigkeit machte die Schiffe ideal für Raubzüge, Handel und Entdeckungsfahrten.
Vor allem die Kriegsschiffe, die Langschiffe, zeichneten sich durch ihre lange, schmale Form und den hohen, oft kunstvoll verzierten Bug aus. Am Bug prangten häufig Drachen- oder Schlangenhäupter – zur Einschüchterung von Feinden und als Schutzsymbol.
Die Schiffe waren leicht, schnell und wendig; dank ihres geringen Tiefgangs fuhren sie auf hoher See ebenso wie in Flüssen oder küstennah. Segel- und Ruderantrieb machten sie zu idealen Fahrzeugen für Handel, Erkundung und Krieg.
Einen Magnetkompass kannten die Wikinger nicht. Sie orientierten sich an Sonne, Mond, Sternen und Zugvögeln, aber auch an Farbe und Geruch des Wassers, Wellenmustern und Tierverhalten. Ihre Navigationskunst beruhte auf Erfahrung und überlieferter Küstenkunde.
Knorr (Knarr) – Handelsschiff, Tragkraft, Fernhandel
Die Knorr (altnordisch knǫrr) war das typische Handels- und Frachtschiff der Wikingerzeit. Im Unterschied zum schmalen Langschiff war sie breiter, runder und tiefer gebaut und bot hohen Freibord sowie ruhiges Rollen in Atlantikwellen.
Typische Maße: 20–25 m Länge, 4–5 m Breite; ein Mast mit rechteckigem Wollsegel. Eine gut gebaute Knorr trug bis ca. 12 t Ladung, in Einzelfällen deutlich mehr (30–40 t). Ideal für den Fernhandel zwischen Skandinavien, den Britischen Inseln, via Nordatlantik nach Island, Grönland und bis nach Vinland.
Die Besatzung war klein (6–12 Mann), da überwiegend gesegelt wurde. Robuster Rumpf und hoher Freibord boten Schutz auf langen Überfahrten – entscheidend für die Nordatlantikrouten.
Langschiff (Drachenboot) – Kriegsschiff, Schnelligkeit, Symbol
Das Langschiff (langskip) war das Kriegs- und Prestigeschiff der Wikinger: schmal, lang, leicht, für hohe Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit in seichten Gewässern.
Typisch waren 30–40 m Länge, angetrieben von 20–40 Ruderern und einem Wollsegel. Der Eichenrumpf in Klinkerbauweise verlieh Flexibilität und Stabilität, der flache Kiel ermöglichte Strandlandungen – ideal für überraschende Anlandungen und raschen Rückzug.
Am Bug fanden sich häufig Drachen- oder Schlangenfiguren – Ursprung des Begriffs „Drachenboot“. Das Langschiff brachte die Wikinger nach England, Irland, Frankreich, Russland, Byzanz und bis ans Kaspische Meer.
Auf Víking gehen – Unternehmung, Beute, Ruhm
„Auf Víking gehen“ (altnord. fara í víking) bedeutete, sich auf See zu einer Unternehmung zu begeben – für Beute, Handel oder Entdeckung. Es war keine Volksbezeichnung, sondern eine Tätigkeit und trug den Geist von Mut, Risikobereitschaft und Gemeinschaft in sich.
Ein víkingr war also ein Mann auf Unternehmungsfahrt, nicht zwingend ein Räuber. Für viele junge Nordmänner war dies ein Übergangsritus – vom Bauern oder Handwerker zum Krieger, Händler oder Entdecker. Die Grenzen zwischen Handel, Söldnerdienst und Raubzug waren fließend.
Navigation und Seefahrtskunst – Sonne, Sterne, Küstenkunde
Ohne Magnetkompass nutzten die Wikinger Sonne, Mond, Sterne (v. a. den Nordstern), Küstenlinien, Inselketten und natürliche Zeichen wie Wasserfarbe/-geruch, Wellenmuster, Vogelzüge oder Treibgut. Berichte über „Sonnensteine“ (lichtspaltende Kristalle) und Sonnen-Kompass-Tafeln existieren; gesichert ist vor allem: Navigation beruhte auf Erfahrung, Beobachtung und überlieferter Küstenkunde.
Handel und Austausch – Routen, Waren, Zentren
Der Handel verknüpfte Nordsee und Ostsee mit den großen Strömen Osteuropas. Wichtige Emporia waren Haithabu (Hedeby), Birka, Ribe, Kaupang, später Jórvík (York) und Dublin. Nach Osten führten Wege über Staraja Ladoga, Nowgorod und die Flüsse Newa, Wolga, Dnepr – die Routen „von den Waräggern zu den Griechen“ (Byzanz) und „zu den Arabern“ entlang der Wolga.
Exportgüter: Pelze, Bernstein, Walrosselfenbein, Eisen, Holz, Teer, Schleifsteine, Sklaven, Wachs, Honig.
Importgüter: Silber (v. a. arabische Dirhams), Wein, Seide, Gewürze, Glasperlen, feine Stoffe, Bronze-/Messingwaren.
Handwerk und Kunstfertigkeit – Schmiede, Holz, Textil, Runen
Das Handwerk war hoch spezialisiert:
- Schmiede fertigten Klingen, Nieten, Beschläge; ältere Schwerter zeigen Schweißmusterungen (Pattern-Welding), später setzte man besseren Stahl aus Importen ein.
- Bootsbauer beherrschten das Dampfbiegen von Planken und präzises Nieten – Grundlage der elastischen Rümpfe.
- Holzschnitzer verzierten Schiffe, Möbel und Schalenfibeln mit Tier- und Bandornamentik.
- Textilhandwerk (Spinnen, Weben, Brettchenborten) lieferte dichte Wolltuche und feines Leinen; pflanzliche Farbstoffe sorgten für reiche Töne.
- Knochen- und Geweihhandwerk stellte Kämme, Nadelbüchsen, Spielsteine her; Bernstein- und Silberschmiede gossen/ trieben aufwendig verzierten Schmuck.
- Runenmeister ritzten Inschriften in Stein, Holz, Metall – als Gedenk-, Besitz- und Weihezeichen.
Münzen und Silberwirtschaft – Hacksilber, Dirhams, Gewichte
Der Geldverkehr war lange gewichts- und silberbasiert. Man zahlte mit Hacksilber (zerschnittene Münzen/Barren), Ringen oder Barren nach Gewicht; Waagen und Gewichtssätze finden sich in vielen Gräbern.
Seit dem 9./10. Jh. gelangten massenhaft arabische Dirhams in den Norden; später prägten skandinavische Herrscher eigene Pfennige nach westeuropäischem Vorbild. In Städten dominierten Münzen, auf dem Land blieb das Bullion-System (Gewichtssilber) länger üblich. Silber war zugleich Zahlungsmittel, Schmuck, Schatz – Hortfunde belegen Sparvermögen, Notvorrat und Beuteanteile.
Fazit
Seefahrt, Handel und Handwerk bildeten ein dichtes Geflecht: Schiffe verbanden Küsten und Ströme, Navigation stützte sich auf Erfahrung, Märkte vernetzten den Norden mit Byzanz und dem Kalifat, und Handwerker gaben der Welt der Wikinger Form und Glanz. So wurde der Norden nicht nur zur Heimat von Kriegern und Seefahrern, sondern auch zu einem umsichtigen, kunstfertigen und weit vernetzten Kulturraum.